EUCC-D Fachberater im Interview
Die Arbeit von EUCC-D wird seit 2006 durch ein Fachberatergremium unterstützt. Die Fachberater sind EUCC-D Mitglieder und ausgewiesene Experten in küstenrelevanten Fachgebieten, die ehrenamtliche, fachbezogene und beratende Tätigkeiten übernehmen. So wirken sie aktiv im Verein mit und unterstützen die Arbeiten im Rahmen der aktuellen Strategiethemen.
Einblicke in das interdisziplinäre EUCC-D Fachberatergremium gibt unsere Interview-Reihe, diesmal mit Sebastian Niehüser, Professor für Konstruktiven Wasserbau an der hochschule 21.
EUCC-D Fachberater Sebastian Niehüser
Welchen beruflichen Hintergrund hast du? Was für eine Rolle hast du als Fachberater und welchen Mehrwert siehst du in deinem Engagement für EUCC-D und für dich?
Seit September 2022 bin ich als Professor für Konstruktiven Wasserbau an der hochschule 21. Wie ist es dazu gekommen? Alles begann mit einem Schulpraktikum in der elften Klasse, das ich in einem kleinen Ingenieurbüro absolviert habe. Mir wurde schnell bewusst, dass mich diese Tätigkeit begeistert. Ich habe daher eine Ausbildung zum Bauzeichner mit dem Schwerpunkt Tief-, Straßen- und Landschaftsbau begonnen. Im Anschluss an die Ausbildung wollte ich die erlangten Erkenntnisse weiter vertiefen. Ich begann ein Studium im Bauingenieurwesen an der Universität Siegen. Durch die vorangegangene Ausbildung war für mich die Vertiefungsrichtung Wasserbau und Wasserwirtschaft bereits festgelegt. Zum Ende meines Bachelorstudiums lernte ich meinen späteren Doktorvater kennen, der mir eine Stelle als studentische Hilfskraft angeboten hat. Es folgten sehr lehrreiche und persönlichkeitsbildende Jahre. Ich verbrachte einige Jahre am Lehrstuhl für Hydromechanik, Binnen- und Küstenwasserbau des Forschungsinstituts Wasser und Umwelt der Universität Siegen mit der Bearbeitung praxisnaher wissenschaftlicher Fragestellungen, überwiegend im Bereich des Küsten- und Hochwasserschutzes, sammelte kontinuierlich Lehrerfahrung und wendete Gelerntes ebenso außerhalb der Hochschule an. Durch meine anschließende Tätigkeit als Oberingenieur an der Universität Rostock konnte ich zum einen meine Expertise im Bereich Küstenschutz vertiefen und zum anderen den Küstenraum der Ostsee kennenlernen. Über die Tätigkeit an der Universität Rostock lernte ich EUCC-D kennen und bin seit 2022 Fachberater zum Strategiethema Küstenschutz.
Aktuell genieße ich sehr die enge Verzahnung von Theorie und Praxis durch den dualen Charakter der hochschule 21. Der stetige Austausch mit den Studierenden und den Praxisbeteiligten stellt für mich eine Win-win-Situation dar. Und hier sehe ich auch meine Rolle und den Mehrwert für mich als Fachberater. Wenn fachliche Anfragen aufkommen, versuche ich diese mit meiner Erfahrung zu beantworten und kann alternativ als Schnittstelle fungieren, um entsprechende Kontakte herzustellen. Der regelmäßige Austausch und das diskutieren von Meinungen mit Personen unterschiedlicher Aufgabenbereiche ist ein wichtiger Bestandteil, um beispielsweise Interessenkonflikte zu verstehen und im Idealfall auszuräumen.
Inwieweit kann man naturbasierten Küstenschutz in bebauten Städten umsetzen?
Ganz generell benötigt Küstenschutz viel Platz. Insbesondere in bebauten Städten ist demnach die größte Herausforderung die begrenzte Flächenverfügbarkeit sowie die bestehende Infrastruktur. Dennoch bin ich der Meinung, dass man naturbasierte Küstenschutzmaßnahmen auch in bebauten Städten realisieren kann. Sicherlich gibt es keinen pauschalen Ansatz, jedoch können naturbasierte Maßnahmen durchaus sinnvoll in Kombination mit oder als Ergänzung zu bestehenden Bauwerken wie Deichen oder Schutzmauern eingesetzt werden. Ich ziehe gerne das Beispiel Kopenhagen heran, wo man sich für ein grundsätzliches Umdenken hin zu einer wassersensiblen Stadtgestaltung entschieden hat, auch auf die Gefahr hin, im Nachgang nochmal korrigierend einzugreifen. Ein solches Umdenken erfordert allerdings eine sorgfältige Planung sowie die Akzeptanz und Zusammenarbeit verschiedener Interessensgruppen. Zudem müssen die örtlichen Gegebenheiten Berücksichtigung finden. Hervorzuheben ist dabei die Mehrfachnutzung beispielsweise (existierender) Straßen oder Parks, die als temporärer Retentionsraum dienen können. Nicht zuletzt müssen naturbasierte Küstenschutzmaßnahmen aber auch in der Lage sein, den einwirkenden Belastungen in Form von Sturmfluten und Seegang standzuhalten, weshalb hier nach wie vor ein enormer Forschungsbedarf existiert, bei dem EUCC-D wiederum als wichtige Schnittstelle involviert ist.
Inwieweit kollidiert Tourismus mit naturbasiertem Küstenschutz und wie kann EUCC-D bei Gegenmaßnahmen unterstützen?
Konfliktpotential zwischen Tourismus und (naturbasiertem) Küstenschutz ist in meinen Augen dann gegeben, wenn Küstenschutzmaßnahmen nicht als solche identifiziert und wahrgenommen werden. Nehmen wir das Beispiel von Dünen, die gerne als Naherholungsbereich oder alternative Promenaden gesehen werden. Insbesondere Jungpflanzen werden hierbei geschädigt, was die Stabilität von Dünensystemen gefährdet und somit zu verstärkter Erosion bis hin zur vollständigen Schädigung im Falle einer Sturmflut führen können. Zudem schädigt zurückgelassener Abfall die Umwelt. Schadstoffe gelangen in die sensiblen Küstengewässer und belasten marine Lebensräume. Das Resultat ist dann das Gegenteil der Zielstellung von naturnahen Küstenschutzmaßnahmen. EUCC-D kann bei der gezielten Bewusstseinsbildung durch Zusammenarbeit und Dialog über die Bedeutung des naturbasierten Küstenschutzes informieren. Das Mitwirken bei relevanten Forschungsprojekten ist in dem Rahmen ebenfalls eine wichtige Aktivität der Küsten Union.
Was können wir aus numerischen Simulationen lernen, um nachhaltigen Küstenschutz zu betreiben?
Viel. Tatsächlich spielen numerische Simulationen eine enorm wichtige Rolle bei der Entwicklung und Umsetzung von nachhaltigem Küstenschutz. Erst durch den Einsatz von Modellen wird es uns ermöglicht, vergangene und zukünftige Situationen nachzubilden. Für die Vergangenheit liegen uns mal mehr und mal weniger Datensätze vor, die zur Kalibrierung und Validierung der Modellergebnisse herangezogen werden können. Für zukünftige Zustände müssen wir darauf vertrauen, dass unsere Modelle und die dahinterliegenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten auch unter veränderten klimatischen Randbedingungen Gültigkeit besitzen. Doch erst durch numerische Simulationen haben wir die Möglichkeit, verschiedene Szenarien zu modellieren und deren Auswirkungen auf Küstenprozesse zu verstehen. Die Bandbreite an zu simulierenden Parametern ist groß und reicht von den einwirkenden Belastungen (Wasserstand und Seegang) über Erosionsprozesse, Risikobewertungen bis hin zur Analyse naturbasierter Küstenschutzmaßnahmen unter vergangenen, derzeitigen und potentiell zukünftigen Randbedingungen. Man darf allerdings nicht vergessen, dass es sich bei Modellen um eine genäherte Abbildung der Natur handelt. Bei der Anwendung von Modellpaketen müssen entsprechend Limitationen und Unsicherheiten Bestandteil der Ergebnisinterpretation sein.
Wie unterscheiden sich die Nord- und Ostseeküste mit Blick auf zukünftige Herausforderungen, vor allem wenn Du an ‚Extreme an der Küste‘ denkst?
Das ist eine sehr gute und komplexe Fragestellung, die aktuell Bestandteil vieler Forschungsvorhaben ist. Die wesentlichen Unterschiede zwischen Nord- und Ostseeküste resultieren aus unterschiedlichen hydrodynamischen Einwirkungen, den geographischen Gegebenheiten, den vorhandenen Küstenformen sowie der unterschiedlichen Küstenschutzstrukturen. Beide Küsten weisen eine Gefährdung gegenüber Sturmfluten auf. An der Nordsee dominieren die Gezeiten und die Meteorologie das Sturmflutgeschehen einhergehend mit starken Strömungen, während an der Ostsee Faktoren wie die Beckenfüllung, Staueffekte und der Seegang maßgebliche Belastungen darstellen. Der steigende Meeresspiegel stellt eine gemeinsame Herausforderung für beide Küstenlinien dar, wenn auch regional unterschiedlich ausgeprägt. Die flachen Wattflächen der Nordsee aber auch die Bodden an der Ostsee unterliegen zudem ausgeprägten Wechselwirkungen der einzelnen hydrodynamischen Parameter, die wiederum durch den Meeresspiegelanstieg verstärkt werden können. Hier gilt es das Prozessverständnis zu schärfen, um ablaufende morphodynamische Muster und die resultierenden Veränderungen der Küstendynamik besser zu verstehen. Ohne das Prozessverständnis wird es schwer, nachhaltigen Schutz gegenüber zukünftigen Extremereignissen gewährleisten zu können. Der Schutz vor Sturmfluten, Erosion und steigendem Meeresspiegel erfordert eine kontinuierliche Anpassung der Küstenschutzstrategien und Beachtung der jeweiligen Gegebenheiten. Hier findet sich ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Nord- und Ostseeküste: Historisch und geographisch bedingt, besteht die Küstenschutzinfrastruktur an der Nordsee im Wesentlichen aus Deichen und technischen Lösungen, während an der Ostsee Küstenschutzmaßnahmen in großen Teilen auf dem Erhalt, der Ertüchtigung und der Verstärkung von natürlichen Küstenschutzelementen wie Dünen oder auch Buhnen basiert. Entsprechend unterschiedlich gestaltet sich deren Bemessungsgrundlage. Es gibt also jede Menge zukünftige Herausforderungen, weshalb ich dazu gerne beratend beitrage, wenn es um die Unterstützung von EUCC-D geht.